Grösser, weiter, höher, monumentaler, gewaltiger – es scheint, dass heutzutage in der Kunst vorrangig solche Superlative angestrebt werden. Doch auch in kleineren Formaten kann alles enthalten sein, was ein grossformatiges Werk ausmacht. Das „Kleine“ kann zwar unscheinbar und dezent, aber zugleich auch erlesen und kostbar sein. Das Wort „Kleinod“ hat seinen Ursprung im 16. Jahrhundert und entwickelte sich über die Zeit in seiner Bedeutung von der ursprünglichen Beschreibung von etwas Kleinem zu etwas Besonderem. Die Grimm Brüder definieren „Kleinod“ in ihrem Wörterbuch von 1854 als etwas „kunstreich gearbeitetes“, daran schloss sich die weitere Entwicklung des Wortes zu „Kostbarkeit“, auch wurde das Wort als Synonym für „Siegespreis, Ehrengabe an den Sieger“ gebraucht und nicht zuletzt beschreibt es „Dinge vom höchsten Wert, von Seltenheit, die von allen als unschätzbares Gut anerkannt, unersetzbar sind“. So ist die Besonderheit von kleinformatigen Werken sicherlich, dass sie eine gewisse Intimität zum Betrachter erzeugen, sie fordern genauen Augenschein und Nähe ein. Den vielfältigen Ausdrucksformen sind dabei allerdings keinerlei Grenzen gesetzt, dies gilt es auch in unserer Ausstellung zu entdecken.
Grafiken und Zeichnungen wurden zu den Ursprüngen der Kunstgeschichte vorrangig auf kleinem Format umgesetzt, als Beispiel seien hier Exlibris zu nennen, kleinformatige Druckgrafiken, die Ende des 15. Jahrhunderts in Einbände von Büchern eingeklebt wurden. Die Exlibris galten als intime und kleine Besonderheiten, denen sich im 16. Jahrhundert auch Albrecht Dürer, Lucas Cranach d. Ä. und andere bedeutende Künstler der Zeit widmeten. Die Druckgrafik veränderte sich über die Jahrhunderte hinweg vom schnellen Reproduktionsmittel zum eigenständigen künstlerischen Ausdrucksmittel. Dies zeigen in unserer Ausstellung insbesondere Holzschnitte, Radierungen und Lithographien der „Brücke“ Künstler, die zu den grundlegenden Phänomenen der Moderne gehören und nicht nur wegen ihrer besonderen Qualitäten, ihres grossen Einflusses auf die Malerei und Plastik des Expressionismus und ihrer bildprägenden Ausdrucksstärke für unser kulturelles Gedächtnis einzigartig sind, auch an Umfang ist dies Phänomen singulär.
Zeichnungen von Ernst Ludwig Kirchner zeigen selbst in kleinstem Format die Virtuosität des Künstlers im Erfassen von Bewegungen sowie Ausdrücken anhand weniger Striche. Zu den Highlights der Ausstellung gehören drei in Riehen noch nie zuvor gezeigte Gemälde von Kirchner. „Drei nackte junge Männer“ und „Reiterin mit gestürztem Pferd“ entstanden Ende der 20er bzw. Anfang der 30er Jahre, einer Zeit, in der Kirchner sich vorgenommen hatte, sich neu zu erfinden. Die Linien und Flächen in beiden Gemälden grenzen Körper und Gegenstände nicht eindeutig voneinander ab, einige Linien setzen sich von einem in den nächsten Körper fort, andere Linien lassen sich je nach Perspektive zugleich dem einen oder anderen Körper zuordnen. Die Linien werden vervielfacht und zeigen Körper in Bewegung, auch die Farbe wird unabhängig vom Gegenstand: Körperteile werden durch Licht oder Schattenfelder mit anderen Körperteilen zu neuen ungegenständlichen Formen verbunden.
Es lässt sich also weder eindeutig feststellen, wo ein Körper bzw. Gegenstand anfängt noch wo er aufhört. Kirchner beschäftigen damit dieselben Fragen, die auch die anderen Künstler seiner Zeit bewegen: Im Kubismus wird der Körper in der Fläche in mehreren Perspektiven gleichzeitig gezeigt, im Purismus der ein Minimum an Mitteln anstrebt, dienen die Linien mehreren Gegenständen gleichzeitig als Begrenzung.
Die Gattung der Skulptur wird durch Objektassemblagen von Daniel Spoerri (*1930) und Jürgen Brodwolf (*1932) sowie durch Buchskulpturen des Künstlerduos Kubach-Wilmsen vertreten. Während Daniel Spoerri objets trouvés zu einer 15 cm „grossen“ Versinnbildlichung einer Redewendung zusammenfügt, zeigt das Künstlerduo ein Taschenbuch, Handbuch oder gar einen ganzen Buchturm von realitätsnaher Grösse, einzig das Gewicht lässt die Bücher zu „schwerer Kost“ werden. In zahlreichen Variationen installiert und inszeniert der in Kandern wohnhafte Jürgen Brodwolf seine Tubenfigur. Etwa in einer gleichnamigen Installation mit 18 cm grossen Tubenfiguren oder gar als Protagonisten in feinen Rötelzeichnungen von 2018/19. Die „Figurenkästen“, in denen Tubenfiguren oder Bleifiguren sitzend oder stehend von den unterschiedlichsten Fundstücken umgeben sind, entstanden vor allem Ende der 60er und in den 70er Jahren. Brodwolf hat mit der Tubenfigur ein künstlerisches Symbol entwickelt, das auf unterschiedlichste Weise eingesetzt und kombiniert werden kann und dementsprechende Interpretationsmöglichkeiten zulässt.
Mit gerade einmal 24 cm Höhe und 18 cm Breite ist eine ganze Reihe kleinformatiger analoger Fotografien des zeitgenössischen spanischen Künstlers Darío Basso (*1966) zu bewundern. Die Detailansichten unterschiedlicher Blumen und Pflanzen wurden vom Künstler nachträglich mit Aquarellfarben überarbeitet und so bildet jede einzelne ein farbenprächtiges Unikat, welches trotz seiner Grösse bereits von weitem einen Augenmerk bildet. Farbliche Besonderheiten bieten auch die abstrakten Aquarelle von Bernard Schultze (1915–2005) aus der Serie „Ragaz“. Sowohl dieser, als auch Günther Gumpert (1919–2019), der mit drei Werken in der Ausstellung vertreten ist, werden der Stilrichtung des Informel zugeordnet, diese beschreibt abstrakte, im Sinne von nicht-geometrischen, gegenstandslose, Kunst in den europäischen Nachkriegsjahren.
Im Kontrast zu den farbreichen Werken stehen die quadratischen Gemälde von Giovanni Manfredini (*1963) aus der Serie „Estasi“ mit der Abbildung eines schwebenden runden Gebildes einzig in schwarz-weiss gehalten. Ganz entgegen der kleinen Formate von teilweise nur 25 x 25 cm erinnert die Darstellung stark an einen Mond, einen Körper im Universum, an etwas weit Entferntes, nicht Greifbares. Der Chiaroscuro Effekt verleiht den Werken umso mehr ein traumhaftes Bild, das die Fantasie des Betrachters beflügelt.
Sie sind herzlich dazu eingeladen sich in der Ausstellung den unterschiedlichen „Kleinoden und Schätzchen“ zu nähern, diese im intimen Austausch zu erkunden und sich an den feinen Details zu erfreuen. Die Vielfalt an Künstlern und Techniken soll Ihnen dabei aufzeigen, wie detailreich, präzise, spannend und zugleich imposant und gewaltig Kleinformate sein können.