Die Malerei in den romanischen Ländern – und zu diesem Kulturraum gehört auch ganz Süd- und Mittelamerika, vielleicht Einiges darüber hinaus – präsentiert sich (wie immer abgesehen von den sprichwörtlichen Ausnahmen) auf allen Ebenen farbiger, feuriger, direkter, pathetischer, bisweilen aber auch leichtfüssiger, freudiger und freier als die der germanischen, slawischen, nordischen oder wie auch immer man den nichtromanischen Kulturraum Europas bezeichnen will. Das festzustellen genügt ein Blick in übergreifende Ausstellungen und Publikationen oder in die Zeitschriften all dieser Länder des so riesigen und immer lebendiger und stärker werdenden romanischen Kulturraumes. Diese anderen Voraussetzungen gilt es bei einem Blick in diesen zu berücksichtigen, auch bei dieser Ausstellung einiger bedeutender Werkgruppen von Dario Basso, die einen solchen Blick in die Gegenwartskunst Spaniens und seines Kulturraumes erlaubt.
Darío Álvarez Basso wurde 1966 in Caracas geboren, wuchs teilweise dort und teilweise im galizischen Vigo in Spanien, umgeben von einer intellektuellen Familie mit starken Neigungen zu Malerei und Literatur auf. Nach einem kurzen Zwischenspiel in der Rock- und Comic-Szene war er 1984 für drei Monate an der Schule der Schönen Künste in Madrid und stiess zu den Talleres de Arte Actual im Circulo de Bellas Artes. Dario Villalba, Eduardo Arroyo und Frederic Amat weckten dort seine Berufung und führten ihn in Kunst und Kunstbetrieb ein.
Der Zwanzigjährige begann ohne weitere Ausbildung sogleich ein bis heute rastloses Werk, das er dem „Libreta“, dem ständig begleitenden Skizzenbuch, alle erste Idee und Information anvertraut. Was dort in zartesten Strichen und lavierenden Tönen angelegt ist, kann auf den bis zu fünf Meter hohen Leinwänden zu heftigsten und schweren Kompositionen in Zentimeter-dicker Farbe oder Teer mit vielfältigen Collage-Einschlüssen sich entwickeln. Hierzu bedient sich der Autodidakt völlig unkonventioneller Mittel, malt, ja giesst seine Bilder oft im Freien in der Natur waagerecht auf dem Boden, bezieht die Umgebung und auch das Wetter sowie direkte oder indirekte Naturgewalten oder auch den genius loci in Mythos oder Geschichte mit ein. Auf viele Werke hat es geregnet oder gehagelt, manche wusch er in Flüssen.
Auch inhaltlich ist das Werk Bassos von grosser Vielfalt und enormer geo-kultur-politischer Universalität. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Kulturen in Vergangenheit und Gegenwart, in Geschichte, Mythos, Religion, Legende, Literatur, Philosophie aber auch Naturwissenschaft zu verschmelzen, insbesondere den Osten mit dem Westen. 2004 konnte der Achtunddreissigjährige eine umfassende Wanderausstellung seines Werkes mit Hilfe des in dieser Hinsicht vorbildlich aktiven spanischen „Ministeriums für äussere Angelegenheiten und Zusammenarbeit“ und seinen Unterorganisationen in vielen Ländern Südamerikas mit begleitendem opulenten Katalog zeigen. Zur Zeit wandert Bassos Installation „Algorithmi dixit“, bestehend aus 23 im Hochformat bemalten Wüstenzeltplanen von 4,3 x 2,5 m, Paraphrasen arabischer Ornamentik, durch die Hauptstädte des Mittleren Ostens. Ausgestellt und gesammelt wird das Werk von Basso vor allem in Spanien, Portugal, Venezuela, USA, Deutschland und der Schweiz, für die Othmar Triebold diesen Maler bereits sehr früh entdeckte und 1990 in seiner Galerie in Basel das erste Mal ausstellte.
Basso ist nicht nur in kosmopolitischer Familie in zwei Städten, zwei Ländern und zwei Kontinenten aufgewachsen, er zog auch weiter als Wanderer zwischen den Welten und dies ebenfalls künstlerisch zwischen Abstraktion und Figuration bis heute. Bis 1987 malte er in Madrid heftige dunkle Gestalten vor hellem Grund durchaus im „Geiste der Zeit“. Dann zog es ihn für zwei Jahre nach Paris. Dort beherrschen eher konkrete exakt voneinander abgesetzte Formen wie Säge- oder Kreissägeblätter, die er während eines kurzen Marokko-Aufenthaltes zuvor vielleicht dort hat rosten sehen, seine Malereien auf unregelmässigen irgendwo vorgefundenen Leinwänden mit allerdings sehr konkreten Titeln und arabischen Inschriften.
Noch in Paris gelangte er in der Erinnerung an den mohammedanisch-christlichen Konflikt im mittelalterlichen Spanien an den ähnlichen noch früheren zwischen Karthago und Rom, der ebenfalls in Spanien mit dem Ausgangsort Hannibals sein kritisches Zentrum hatte. Immerhin war Hannibal der Einzige, der den Aufstieg des römischen Weltreiches überhaupt ernstlich hätte gefährden können. Auch dieser zähe und keineswegs eindeutige oder kurze Machtkampf war bereits ein Kampf zwischen Ost und West gewesen, ein Kampf der Kulturen, kam die Karthagos doch aus dem Osten und ist das römische Reich doch direkter und allenthalben noch spürbarer Vorläufer unserer heutigen sog. westlichen Kultur. Das Stipendium in der Spanischen Akademie in Rom 1989/90 und ein Foto der halben Decke des Pantheon führten zu den nun werkbegleitenden Kompositionen der Hannibal-Thematik.
1990/91 war er wieder in Paris und beschäftigte sich mit politischen und sozialen Fragen der Welt, malte ihre Kontinente. 1991/92 nach einem Senegal-Aufenthalt arbeitete er wiederum in Italien, im kleinen umbrischen Pissigano in einer aufgelassenen Kirche. Die dort noch sichtbaren Fresken gemahnten Basso täglich an die gesamte dortige Kunstgeschichte vor allem jedoch an die ihr zugrunde liegende Spiritualität Diese regte ihn zu „sehenden“ Bildern an, welche den Betrachter anschauen.
Ein Fulbright-Stipendium brachte ihn 1992-94 nach New York, in die Gegenwart und zum Menschen, der in den „Libretas“ gänzlich behandelt, in den grösseren Arbeiten allerdings auf eine mittlere „Wirbelsäule“ reduziert wurde. Von 1995 bis 1998 war Basso wieder in Madrid. Er zog eine erste Summe, ging den St. Jakobs-Weg, auf dem ihn besonders die Knochenfunde von Vorfahren der Neandertaler in Atapuerca beeindruckten, und stellte zum ersten Male ganze Wände von einem halben Hundert seiner Arbeiten, seiner Fotografien und Reproduktionen ihn inspirierender Gegenstände, Ansichten und Ausschnitte zu „Antropogeografias“ zusammen.
Dabei mehrten sich Collagen, in die er auch Blätter aus der Natur aufnahm, was 1999 bis 2001 zu „Freiluftateliers“ im Regenwald von Venezuela und den Wäldern der Dominikanischen Republik führte. Vor allem begeisterten ihn die riesigen Blätter der Bananenstauden und der Palmen, einzeln hochformatig vor allem in der Serie „Humboldt“ oder sternförmig als „Flowers to Andy“. In den Jahren 2002 bis 2004 zog er in Madrid wieder eine Summe aus diesen diversen Erfahrungen, beschäftigte sich immer stärker mit der Fotografie, auch der Unterwasserfotografie, die er überarbeitete und in langen Serien durchdeklinierte.
Wir zeigen in unserer Ausstellung jeweils eine Werkgruppe der „Wirbelsäulenbilder“ von 1994, der hochformatigen Einzelblattbilder „Humboldt“, des Hannibal-Pantheon-Motives, des Motives „Flowers to Andy“, eine Serie neuerer quadratischer (1x1m) Bilder vegetabiler Motive und schliesslich die neuesten äusserst farbintensiven „gegossenen“ expressiv abstrakten Farbreliefs grösseren Formates von 2008 sowie zwei Serien-Vorschläge für Bassos Foto-Arbeiten, zusammengestellt wie er es in seinen „Antropogeografias“ tat.
Dario Basso wählte als Titel für diese Ausstellung „Die Reise des Argonauten“. Es ist seine, die oben kurz skizzierte Reise und was er zeigt, ist das Goldene Vlies, das er mitbrachte, abenteuerlich, mit hohem Einsatz und nicht ohne Kämpfe erbeutet. Vielleicht sind seine letzten grossen Farbreliefs am Ende dieser Ausstellung als eben dieses „Goldene Vlies“ anzusehen. Ihre Strahlkraft legt solches nahe. Wir können in der hohen Halle des Projekt-Raumes unseres Kunst-Depots auf dessen Wänden wechselnder Höhe diese Reise Episode für Episode nachvollziehen, aber auch die teilweise bis zu drei Meter hohen oder breiten farbfeurigen Werke in freier Umgebung als Einzelwerke eingehend betrachten.
Ingeborg Henze-Ketterer und Wolfgang Henze