Zeitgleich mit dem neuen Realismus entsteht in Deutschland eine neue Malerei, die sich wieder der Figuration zuwendet. Die abstrakte Malerei des Informel hatte sich zuvor von der illusionistischen Darstellung von Figur und Raum verabschiedet. Sie wollte damit jede ideologische Vereinnahmung wie durch die Nazis oder im sozialistischen Realismus vermeiden. Die illusionistische Darstellung von Figuren stand unter Generalverdacht. In den 60ern aber hatte sich die Situation verändert. Für die Maler der neuen Figuration stand nun die abstrakte Kunst ihrerseits unter Verdacht, die Verbrechen der Nazis und die eigene Mitschuld in der Abstraktion zu verdrängen und gegenstandlos zu machen und so zum Komplizen der Wohlstandsgesellschaft geworden zu sein, die sich mit dem Wiederaufbau in den 50ern etabliert hatte und die von der Nazizeit nichts wissen wollte. Lange vor den Studentenunruhen der 68er wollten die Maler der neuen Figuration diese Lüge der Malerei, die zugleich die der Gesellschaft war, entlarven. Die Realität des Bildes wird in dieser Malerei also ebenso reflektiert wie die der Gesellschaft. Der kapitalistische Realismus von Gerd Richter und Sigmar Polke tat dies eher auf konzeptuelle Weise, Künstler wie Georg Baselitz und Markus Lüpertz eher auf expressive und provokative Weise.
Im Pandämonium, ein Manifest, das Baselitz zusammen mit Eugen Schönebeck herausgegeben hat sieht man wie sich aus informellen, abstrakten Linien gequälte Figuren herauswinden. In seinen Heldenbildern bewegen sich monumentale zerfetzte Soldaten durch Ruinenlandschaften. Andere Bilder der Zeit zeigen anthropomorphe Fleischklumpen wie in „Acker“. Ab Ende der 60er malt Baselitz seine auf dem Kopf stehenden Bilder, um Inhalt und Form, Figur und Bild im Bild trennen zu können. In den 90ern ändert Baselitz seinen Stil noch einmal grundlegend. Die Kraftvolle Durcharbeitung von erdiger, dunkler Farbe weicht der Arbeit mit dünner, leichter aquarellartiger Ölfarbe. Das Verhältnis von Figur und Raum löst sich auf, so dass die Figuren im Raum bzw. auf der Oberfläche der Bilder zu treiben scheinen. In seiner Remixserie verarbeitet er auf diese Weise seine Motive aus der Anfangszeit noch einmal, was in grossformatigen Farbholzschnitten in der Ausstellung zu sehen ist.
Markus Lüpertz knüpft anfang der 60er Jahre an die Abstraktion an in dem in seiner Micky Mouse Serie aus abstrakten Formen, die an Willem de Kooning erinnern, groteske Figuren entstehen lässt. In seinen dithyrambischen Bildern der 70er sieht man leere Uniformen und immer wieder den Stahlhelm aus dem zweiten Weltkrieg, der auch in seiner kürzlich entstandenen und in der Ausstellung gezeigten Serie „Arkadien“ an der Seite von klassischen antiken Skulpturen in idyllischer Landschaft auftaucht. „Et in arcadia ego“ – „Auch in Arkadien bin ich“ drängt sich einem hier in Bezug auf den Helm auf, sei dies der Tod oder der Krieg, der sich nicht verdrängen lässt.
Die Künstler der neuen Figuration wurden erst mit dem Malereiboom Anfang der 80er Jahre, ausgelöst durch die Neuen Wilden, berühmt und von der Kritik beachtet. Die Neuen Wilden konzentrieren sich auf die drei Zentren Hamburg, Köln und Berlin. Die Hamburger standen dem politischen Aktivismus nahe und hatten als Schüler von Sigmar Polke eher einen intellektuellen und reflektierten Zugang zur Malerei, während die Berliner eher als expressiv und spontan gelten. Mit der Entscheidung für die Malerei richten sich beide gegen die etablierte Konzeptkunst, die damals in den Akademien tonangebend war und für die die Malerei ein Tabu war. Auch die Konzeptkunst war ursprünglich angetreten um die Realität von Kunst und Gesellschaft in Frage zu stellen. Doch auch die Objekte der Konzeptkunst waren schliesslich begehrte Sammlerobjekte geworden und damit Teil des Systems und der Konventionen, die sie kritisierte. In einer Mischung aus Resignation, Provokation und dem Wunsch nach Unmittelbarkeit, die sich gegen den Intellektualismus der Konzeptkunst richtete, stürzten sich die neuen Wilden auf die Malerei. Die Malerei der Neuen Wilden stellt damit einen Bruch mit der zur Konvention gewordenen Konzeptkunst dar. Von der zeitgenössischen Kritik wurde die Wiederaufnahme der Malerei jedoch als Rückschritt betrachtet.
Die Malerei der Neuen Wilden steht damit auf der Schwelle zwischen der Fortschrittsidee der Moderne und dem „anything goes“ der Postmoderne. Gegenüber der Moderne stellt die Wiederaufnahme von etwas schon dagewesenem, der figürlichen, expressiven Malerei einen Bruch dar. Die Wiederaufnahme ist damit zugleich noch ein letztes Mal etwas Neues, das einen Skandal hervorruft. Dieser Schritt ist danach nicht mehr mit derselben provokativen Wirkung widerholbar und erst dann stand es den Künstlern frei die Stile und Gattungen aller Zeiten nach eigenen Vorstellungen zu mischen, ohne dass von vornherein durch Kritik oder Kunstakademien eine bestimmte Kunstform oder ein bestimmter Stil ausgeschlossen waren. Diese Beschränkung der Kunst überwunden zu haben und damit eine neue Epoche eingeleitet zu haben ist das Verdienst der Neuen Wilden.
Auch wenn die Neuen Wilden, die wie Salomé zum Teil selbst Aktionskünstler waren, nicht um der Malerei selbst willen angefangen haben zu malen, sondern aus Protest gegen die etablierte Konzeptkunst, haben sie dennoch schnell den Vorteil des Mediums erkannt, das im Vergleich zu aufwendigen Installationen, Filmen oder unsinnlichen Konzepten unmittelbar umsetzbar und ebenso wahrnehmbar ist. Die Neuen Wilden waren also grösstenteils Dilettanten und entsprachen damit dem Zeitgeist. Gegen die Musikindustrie konnte mit der kostengünstigeren Herstellung von Schallplatten und vor allem mit Hilfe von Kassetten jeder seine eigene Musik aufnehmen und verbreiten, die dann wie die schnellen Bilder der Neuen Wilden entsprechend schlicht und grob war. Dies richtete sich gegen das Virtuosentum von auch schon zur Kulturindustrie gewordenem Gitarrenrock. Die neuen Möglichkeiten Musik zu machen zeigten sich vor allem in der Verbreitung der Punkbewegung, mit der die Maler Neuen Wilden die Abneigung gegen das System und die etablierte Alternative der Hippiebewegung und der 68er teilten. Punk und Neue Wilde empfanden dieselbe Ausweglosigkeit und Alternativlosigkeit. Es herrschte reiner Zynismus, was sich in aggressiver und provokativer Musik und ebensolchen Bildern entlud. Gleichzeitig bediente die schnelle, unmittelbare Malerei der Neuen Wilden die Nachfrage und den Hunger nach Bildern und stellt so den ersten Boom dar, auf den bis heute viele weitere folgten.
Berührungspunkt zwischen Musik und Kunst war der Club SO36 in Berlin, Kreuzberg, den Kippenberger, der eigentlich zu den Hamburgern zählte, zeitweise leitete, in dem aber auch die Berliner Salomé, Middendorf, Fetting und Zimmer von der Galerie am Moritzplatz um die Ecke verkehrten und dessen Atmosphäre sie in einigen ihrer Bilder festgehalten haben. Die Malerei dient hier also auch dazu ein bestimmtes Lebensgefühl festzuhalten und mitzugestalten. Insofern handelt es sich dabei nicht mehr um autonome Malerei um der Malerei willen. Die Männerleiber, Konzerte in Stroboskoplicht und Mauerbilder sind eine Fortsetzung des Schwulenaktivismus, der sexuell aufgeladenen Aktionskunst und des Lebens von Salomé, Fetting und Middendorf. Mit dieser Lebenskunst stellen besonders die Berliner die Avantgarde einer neuen Subjektivität dar: An die Stelle des Ideals des leitenden Angestellten, der nach Status strebt und diesen durch Statussymbole ausdrückt, tritt um 1980 das Kreativsubjekt, das nach Selbstverwirklichung strebt und in dem die Ideale der Gegenbewegung der 60er und 70er und die Kreativität von Künstlertum und Unternehmertum zusammenfliessen. Es handelt sich hierbei um das Idealsubjekt des Neoliberalismus, der um dieselbe Zeit stark geworden ist.
Es war schliesslich die Professionalisierung der Dilettanten schon ab 1982, durch die sich die Neuen Wilden als Gruppenphänomen auflösten. Viele beschäftigten sich nun ernsthaft mit der Malerei als Medium um ihrer selbst willen, am bekanntesten wohl Albert Oehlen. Von Salomé zeigt die Ausstellung in diesem Zusammenhang die Seerosenbilder, in denen eine Figur durch Farbflecken schwimmt und so im wahrsten Sinne des Wortes ins Bild eintaucht bzw. in die Farbe, die gleichzeitig Bild und Materie ist. Wie der späte Baselitz analysiert er damit die Malerei über das Verhältnis von Figur und Grund.
Kai Schupke