Text zur Ausstellung

Die Formel des Panta rhei – auf Griechisch alles fliesst – ist Leitmotiv der Ausstellung zu Zweit mit Urusla und Bernard Schultze. Als spezifische Lesart ist die Formel nicht nur auf Arbeiten von Ursulas anwendbar, sie ist auch eng mit dem Werk von Bernard Schultze verbunden ist, seinerseits Ehemann, Atelier- und Lebenspartner von Ursula.

Ähnlich zur intimen Ateliersituation des Künstlerpaares, soll die Ausstellung im Dachgeschoss der Galerie eine Situation des Nebeneinanders und der gleichzeitigen Nähe schaffen und zugleich, über die Formel des Panta rhei ein Eintauchen in die komplexen Bildwelten von Ursula und Bernard Schultze ermöglichen.

Die Ausstellung im Obergeschoss der Galerie in Wichtrach/Bern wird von Patrick Urwyler kuratiert und wird mit einem Online Viewing Room ergänzt.

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Ausstellungskonzept:

Panta rhei – Alles fliesst
Zu Zweit mit Ursula und Bernhard Schultze

«Alles fliesst», so heisst ein Kapitel des Kataloges der 2023 international gefeierten Retrospektive Ursula. Das bin ich. Na und? im Museum Ludwig in Köln1. Alles fliesst – wieder, muss man sagen, denn die Ausstellung in Köln folgt auf eine zähe, fast drei Jahrzehnte lange Phase einer institutionellen Ausstellungsflaute und entsprechender Marginalisierung des künstlerischen Oeuvres von Ursula Schultze-Blum (1921-1999).

Dieses Schicksal teilt die Künstlerin mit vielen anderen Frauen in der Kunst – ebenso geteilt ist nun aber auch ein in den letzten Jahren wiedereinsetzender Fluss der Rezeption weiblicher, oftmals historischer Positionen. Die dadurch stattfindende, längst hinfällige Wiedereingliederung wichtiger Positionen in den Kanon der Kunstgeschichte, findet ihre Resonanz auch über das Kunstfeld hinaus, in der Gesellschaft und ist Teil des aktuellen Zeitgeistes. «Cologne Museum Dives Into German Artist’s Once-Lost Fantastical World» titelt sogar die New York Times2 in ihrer prominenten Ausstellungsbesprechung, welche die Wichtigkeit der Wiederentdeckungen «weiblicher Welten» unterstreicht. Mediale und institutionelle Würdigungen sind wichtige Katalysatoren, jüngst auch in Bern zu beobachten, als im Berner Kunstmuseum die «Metamorphosen» von Heidi Bucher3, ebenfalls als Retrospektive angelegt, frischen Wind in die Rezeption der Künstlerin brachte.

Buchers «Metamorphosen» als Stichwort bilden denÜbergang zum inhaltlichen Leitmotiv dieser Ausstellung, nämlich zur Formel des Panta rhei – auf Griechisch alles fliesst. Die lateinische Übersetzung (cuncta fluunt) findet sich im 15. Buch der Metamorphosen Ovids, in der „Rede des Pythagoras“ in der Ovid das naturphilosophische Fundament seiner Metamorphosen darlegt. Alles fliesst war zugleich ein Themenfeld der Ursula Retrospektive in Köln, über welches das Werk der Künstlerin gelesen werden kann. Für diese Ausstellung soll es zum zentralen Thema werden, denn die spezifische Lesart ist auch eng mit dem Werk von Bernard Schultze verbunden ist, seinerseits Ehemann, Atelier- und Lebenspartner von Ursula. Ähnlich zur intimen Ateliersituation des Künstlerpaares soll auch die Ausstellung eine Situation des Nebeneinanders und der gleichzeitigen Nähe schaffen und über die Formel des Panta rhei ein Eintauchen in die komplexen Bildwelten von Ursula und Bernard Schultze ermöglichen:

«Ursulas Bilder sind voller Menschen und Tiere, Pflanzen und Dinge, die sich in Verwandlung befinden […] In Ursulas Bildwelten gibt es keine Unterscheidung zwischen belebter und unbelebter Materie, vielmehr scheint es, als wohne den Dingen eine selbstorganisierende Energie inne. Dahinter steht eine Weltauffassung, wie sie auch der Philosophie Ovids zugrund liegt. In dessen Metamorphosen heisst es: ‘Alles fliesst, es bildet sich wechselnd jede Erscheinung’»4.

Bernard Schultzes Bilder zeichnen sich aus in einer « […] Parallelität künstlerischer Gestaltungsabläufe und naturhafter Entstehungs- und Verfallprozesse. Wie biomorphe Gebilde wachsen die gestalthaften Formfindungen im Verlauf des Malvorgangs, werden zum Teil wieder von anderen Formationen überlagert und vernetzen sich zur organischen Einheit.»5

Diese selbstorganisierende Energie der Dinge bei Ursula und die sich zur organischen Einheit vernetzenden Formfindungen von Schultze folgen beide der Formel des Panta rhei. Das Fliesende und stetig wechselnde, das Wachsende, Wuchernde und Zerfallende, ist in beiden Werken überaus präsent. Die teils mikroskopische Kleinteiligkeit der Gestaltung, oft ohne erkennbaren Ausgangs- oder perspektivischen Anhaltspunkt, changiert im nächsten Augenblick zu einem Makrokosmos von provoziertem Chaos, um sich dann – wie es Schultze sagt – in komplizierter Ordnung aufzulösen. Das Chaos mag vordergründig dem Werk von Schultze näher sein, Ursulas Arbeiten bleiben oft einer erkennbaren, wenn auch surrealen Bildidee verhaftet, die sich in ihrer äusseren Form selten vollständig auflöst. In ihrer Essenz harmonieren beide Werke mit der für diese Ausstellung zentralen Passage in Ovids Metamorphosen:

Keines verbleibt in derselben Gestalt, und Veränderung liebend

Schafft die Natur stets neu aus anderen andere Formen,

Und in der Weite der Welt geht nichts – das glaubt mir – verloren;

Wechsel und Tausch ist nur in der Form. Entstehen und Werden

Heißt nur anders als sonst anfangen zu sein, und Vergehen

Nicht mehr sein wie zuvor. Sei hierhin jenes versetzet,

Dieses vielleicht dorthin: im Ganzen ist alles beständig. 6

Treffend kommentiert die Kunsthistorikerin Helena Kuhlmann, dass «diese berühmte Rede in ihrer Gesamtheit ebenso aufschlussreich für die Arbeiten Ursulas, wie sie in unseren (modernen) Zeiten aktuell zu sein scheint.»7 Dies ergänzend, kann Dasselbe auch für das Werk von Bernard Schultze gelten.

In Bezug auf das Werk von Ursula und Bernard Schultze impliziert das Panta rhei neben inhaltlichen Aspekten, auch die Frage nach dem Schaffensprozess, vermutet man doch eine ebenso sich im Fluss befindende Arbeitsweise. Für Schultze kann dies bejaht werden, Stephan Diedrich beschreibt seinen Arbeitsprozess anschaulich: «Am Anfang steht die weiße Leinwand. Von einem, häufig auch mehreren Punkten ausgehend, tastet sich Bernard Schultze in den Bildraum vor, treibt eine Farb-Form ein Stück weit, um sie sich dann verzweigen zu lassen oder abzubrechen, erneut anzusetzen und in eine andere Richtung weiterzuentwickeln. Dabei dreht er verschiedentlich den Bildträger, ändert die Richtungsachsen von Horizontal und Vertikal, Oben und Unten, schafft so während des Malvorgangs neue bildräumliche Situationen. Schritt für Schritt entstehen komplexe Geflechte [...] teils an Verästelungen im Luftraum, dann wieder an Verwurzelungen in erdiger Materie oder undurchdringliches Dickicht erinnern»8.  Die künstlerische Haltung im Schaffensprozess von Schultze ist klar dem Informel verpflichtet, wie Ihn der Künstler in Deutschland der 50er Jahre als Protagonist prägte. Der Künstler komponiert nicht mehr auf ein vorher geplantes Ergebnis hin, ganz im Gegensatz zur Künstlerin:

«Ich erkläre hiermit, dass alles in meiner Arbeit ganz vernünftig zugeht.» sagt Ursula, und weiter: «Das Bild sitzt im Gehäuse meines Kopfes und wartet in die Aussenwelt, auf die Leinwand entlassen zu werden».9 Bernard Schultze seine Frau beobachtend: «Die wilde zeichnende Gestik umreisst zu Beginn groteske Figuren. […] Und danach wie in einer Umkehr beginnt das so ungeduldige darübergebeugt sein […]. In grosser Beharrlichkeit wird Stück um Stück fertig gemalt, und zum Ende fügt alles sich zu jedem, zur ‘heiligen Fläche’ verzahnt, ohne jedwede Korrektur danach. Das frappiert»10.

Die Bewunderung Schultzes, vergleicht Kuhlmann mit Ovids Beschrieb des «wundersamen Prozesses der Materialmetamorphose bei der lydischen Webkünstlerin Arachne, die so begabt war, dass man meinte, die müsse von Athene beschenkt sein: ‘Nicht nur die fertigen Stoffe, nein, auch sie werden zu sehen, war ein Vergnügen, mit solcher Gefälligkeit übt’ sie ihr Können’»11. Frappantes Detail, Bernard Schultze gab Ursula schon kurz nach ihrem Kennenlernen den Spitznamen Spinne und die Künstlerin benutze diesen öfters auch zum Signieren von Werken. Die Anekdote ist ein weiteres Beispiel der engen Verflechtung des Panta rhei im Werk und gemeinsamen Leben «zu zweit» von Ursula und Bernard Schultze.

Das Schlusswort zu einer Ausstellung des Neben- und Miteinanders zweier starken künstlerischen Positionen mit doch so unterschiedlichen Laufbahnen, soll Manfred de la Motte gehören, der das (Werk-)Verhältnis von Ursula und Bernard Schultze in ihrem Künstlerbuch mit dem Titel «zu zweit» folgendermassen formulierte:

«Wärst du stolz, wenn ich exakt nachweisen würde, wie wenig du der Ursula verdankst – oder wärst du glücklich, wenn ich mich analytisch um genau das Gegenteil bemühen würde. Das wäre läppisch und sinnlos – und beides vollkommen falsch. Belassen wir es beim «Zu Zweit»: miteinander, gegeneinander, jeder der Wetzstein des anderen, und jede (für Laien) gelegentliche Ähnlichkeiten wäre dann rein zufällig, wie im Kino, aber nicht im Leben.»12

Text: Patrick Urwyler

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Literatur:

  1. Ursula Das bin ich. Na und?, Katalog der Ausstellung: Museum Ludwig, Köln, 18.3 – 23.7.2023, hrsg. von Stephan Diederich, Verlag Walter König 2023, S.27-39.
  2. New York Times, Cologne Museum Dives Into German Artist’s Once-Lost Fantastical World, url: https://www.nytimes.com/2023/03/02/arts/design/museum-ludwig-ursula-exhibition.html
  3. Heidi Bucher. Metamorphosen I, Ausstellung, Kunstmuseum Bern, 08.04.2022 – 07.08.2022, url: https://www.kunstmuseumbern.ch/see/today/1080-heidi-bucher-120.html.
  4. Ursula Das bin ich. Na und?, Katalog der Ausstellung: Museum Ludwig, Köln, 18.3 – 23.7.2023, hrsg. von Stephan Diederich, Verlag Walter König 2023, S.135.
  5. Stephan Diederich, Unbegreifliches Leben der Wälder, in: Bernard Schultze. Welt im Farbrausch, Katalog der Ausstellung im Museum Ludwig im Russischen Museum, St. Petersburg, 2002, hrsg. von Joseph Kiblitsky, Palace Editions 2002, S. 6.
  6. Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, 15. Buch (Pythagoras), in der Übertragung von Johann Heinrich Voss (1798), aus: projekt-gutenberg.org, url:  https://www.projekt-gutenberg.org/ovid/metamor/meta151.html
  7. Helena Kuhlmann, ‘fast wie eine innere Uhr’ Die Metamorphose als ontologisches Prinzip in der Kunst Ursulas, in: Ursula Das bin ich. Na und?, Katalog der Ausstellung: Museum Ludwig, Köln, 18.3 – 23.7.2023, hrsg. von Stephan Diederich, Verlag Walter König 2023, S.34.
  8. Stephan Diederich, Unbegreifliches Leben der Wälder, in: Bernard Schultze. Welt im Farbrausch, Katalog der Ausstellung im Museum Ludwig im Russischen Museum, St. Petersburg, 2002, hrsg. von Joseph Kiblitsky, Palace Editions 2002, S. 7.
  9. Kuhlmann 2023, S. 32
  10. Kuhlmann 2023, S. 32
  11. Kuhlmann 2023, S. 33
  12. Manfred de la Motte, Vorwort, in: Zu Zweit. Ursula. Bernard Schultze, Künstlerbuch, Edition B, 1993.

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