Fritz Winter
Wege zur documenta (1949–1955)
Eine Ausstellung zum 70. Jubiläum der documenta und zum 120. Geburtstag von Fritz Winter
Mit der Ausstellung „Fritz Winter. Wege zur documenta (1949–1955)“ rückt die Galerie Henze & Ketterer eine der prägendsten künstlerischen Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsmoderne in den Fokus. Anlässlich des 70-jährigen Jubiläums der ersten documenta im Jahr 1955 wirft die von Patrick Urwyler kuratierte Schau einen konzentrierten Blick auf entscheidende Jahre, die Fritz Winter (1905–1976) in die erste Reihe der zeitgenössischen Kunst rückten.
Sein Gemälde „Komposition vor Blau und Gelb“ war 1955 das zentrale Werk im Malereisaal des Museum Fridericianum in Kassel – ein Symbol für das neue Selbstbewusstsein der deutschen Nachkriegsabstraktion. Direkt gegenüber von Picassos „Mädchen vor einem Spiegel“ präsentiert, wurde Winters großformatige Arbeit zu einem Sinnbild für den gelungenen Anschluss der westdeutschen Malerei an die internationale Kunstentwicklung.
Zwei zentrale Wegbereiterinnen von Fritz Winters Erfolg waren die Dichterin, Intellektuelle und Lebenspartnerin Dr. Margarete Schreiber-Rüffer (1890–1958) sowie die Berner Galeristin Hedwig Marbach. Ihr Wirken in den Jahren nach dem Krieg verdient besondere Beachtung – nicht zuletzt, weil es unmittelbare Auswirkungen auf die heutige Ausstellung hat. Doch dazu später mehr.
Richtungsweisend für Winters künstlerischen Weg sind drei frühe Werke, die zu Beginn der Ausstellung gezeigt werden. Sie stehen für die Phase vor dem Zweiten Weltkrieg und sind entscheidend für das Verständnis seiner Arbeiten der 1950er Jahre. Ingeborg Henze-Ketterer und Wolfgang Henze formulieren rückblickend: „In einem Bild der 50er Jahre sind Zeichen, Formen und Farben der Anfänge um 1930 ebenso gegenwärtig wie die späterer Jahre bereits erahnbar“.
Header: Ausstellungsansichten des großen Malereisaals Museum Fridericianum, documenta I. (1955)
© documenta archiv / Foto: Günther Becker

Fritz Winter
Komposition in vor Blau und Gelb
1955
Installationsansicht der Ausstellung: Fritz Winter. Documenta-Künstler der ersten Stunde, Museumslandschaft Hessen Kassel, Neue Galerie, 20.10.2023 bis 28.1.2024.
Virtuelle Rekonstruktion des Saales 27
der documenta I. 1955
Winters Gemälde „Komposition vor Blau und Gelb“ war 1955 das zentrale Werk im Malereisaal des Museum Fridericianum in Kassel. Direkt gegenüber von Picassos „Mädchen vor einem Spiegel“ präsentiert, wurde Winters großformatige Arbeit zu einem Sinnbild für den gelungenen Anschluss der westdeutschen Malerei an die internationale Kunstentwicklung.
Quelle: Hessen Kassel Heritage
1927–1930
– Am Bauhaus bei Paul Klee
Den Auftakt bildet das Gemälde „Ohne Titel“ von 1930 – ein Werk, das zeitlich, formal und inhaltlich direkt auf Winters künstlerischen Anfänge verweist. Besonders prägend war für ihn die Ausbildung am Bauhaus in Dessau (1927–1930), insbesondere die freien Malklassen bei Paul Klee. In Klee, der ihm große Aufmerksamkeit schenkte, fand Winter seinen „Meister .
Neben Klee waren auch Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer wichtige Einflüsse, doch es war vor allem Klee, der ihm zentrale Impulse vermittelte – darunter den Gedanken der Genesis: Der Entstehungsprozess eines Werkes ist für Winter von grundlegender Bedeutung.
«Der Malakt wird nicht als Mittel verstanden, bestimmte Vorstellungen zu verbildlichen, sondern ist in seinem Vollzug das Bild selbst. Das Gemälde ist statisches Ergebnis des Malens […].» Das natürliche Wachsen war dabei Vorbild des künstlerischen Schaffens: Nicht nach der Natur, sondern wie die Natur sollte ein Künstler arbeiten.
Die Natur legt die Basis für Winters abstraktes Werk. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in Kandinskys Überzeugung wider, dass es nicht um das Abbild äußerer Erscheinungen geht, sondern um die Darstellung innerer Kräfte. Bewegung, Energie und Rhythmus werden dabei durch abstrakte Mittel wie Linie, Punkt, Fläche und Farbe zum Ausdruck gebracht. Ein zusätzliches expressives Moment kam durch Ernst Ludwig Kirchner in Winters Werk – ein Künstler, den Winter während und nach seiner Bauhauszeit in der Schweiz mehrfach besuchte.

Fritz Winter
Ohne Titel
1930
Öl auf satiniertem Karton
50 x 65 cm
1930–1949
– Malverbot, Innere Emigration und Krieg
Mit dem Gemälde „K III 100“ von 1939 setzt die Ausstellung Winters Weg fort. Hinter sich die dreissiger Jahre mit einer dynamischen Weiterentwicklung der eigenen abstrakten Formsprache und einer sich anbahnenden Karriere. Doch die Machtergreifung der Nationalsozialisten und sein Rückzug an den Ammersee bremsten diese Entwicklung. 1937 wurde Winter als „entarteter Künstler“ diffamiert und mit Malverbot belegt. Der endgültige Einschnitt erfolgte 1939 mit seiner Einberufung zum Kriegsdienst.
Das Werk „K III 100“ kündigt bereits jene Serie kleinformatiger Blätter an, die 1944 während eines Fronturlaubs entstand: „Triebkräfte der Erde“ – eine Gruppe von rund 50 Zeichnungen, die heute als Schlüsselwerke der deutschen Nachkriegsabstraktion gelten. Die inneren Kräfte des Künstlers blieben trotz Krieg ungebrochen. Diese Phase wird oft als Winters „Innere Emigration“ beschrieben – ein Rückzug in die geistige Auseinandersetzung mit Natur und Schöpfung:
Nichts kann einen tiefer erschüttern, als wenn einen so ganz ohne Habe, so ganz ohne ziviler Mensch zu sein, eine Blüte, ein Blatt begegnet und einem das Grosse der Schöpfung zuteil wird. […] Dass der Krieg mir diese Möglichkeit gibt, lässt mich ihn ertragen.
Zitat aus einem Brief von Fritz Winter (ohne Jahr), in: Schreiber-Rüffer, Margarete,«Über Fritz Winter», in: Die schöpferischen Kräfte der abstrakten Malerei, Ein Zyklus, hrsg. von Ottomar Domnick, Bergen: Müller & Kiepenheur, 1947,S.30-40.

Fritz Winter
K III 101
1939
Öl auf Leinwand
90 x 70 cm




Fritz Winter
Triebkräfte der Erde
1944
Museum für Gegenwartskunst Siegen
Sammlung Lambrecht-Schadeberg

Fritz Winter
Im Unendlichen
1949
Öl auf Bütten, auf Karton aufgezogen
50 x 70 cm
Dr. Margarete Schreiber-Rüffer
– Grundlage für Winters Karriere
Nach 1949 war es insbesondere Dr. Margarete Schreiber-Rüffer , die massgeblich dazu beitrug, das Winters Werk während seiner Abwesenheit nicht in Vergessenheit geriet – im Gegenteil: Sie trieb seine Bekanntheit im In- und Ausland voran. Während des Krieges und in den Jahren danach organisierte sie Ausstellungen in Stuttgart, Karlsruhe, Hannover, Köln, Berlin, München, Paris und in der Schweiz. Sie pflegte Kontakte zu Kunsthistorikern, Galeristinnen und Sammlern – darunter auch Ottomar Domnick, ein wichtiger Förderer der abstrakten Kunst in Deutschland.
Schreiber-Rüffer veröffentlichte 1947 den wegweisenden Aufsatz „Über Fritz Winter“ im Buch „Die schöpferischen Kräfte in der abstrakten Malerei“ – ein Werk, das zusammen mit der begleitenden Ausstellung abstrakter Künstler (darunter Winter) maßgeblich zur Etablierung der Abstraktion in Deutschland beitrug. Ihr Engagement war die Grundlage für Winters spätere Karriere. Ab 1952 firmierte sie als Schreiber-Winter und blieb bis zu ihrem Tod 1958 eine kluge und unentbehrliche Managerin Winters künstlerischen Wirkens.
Nach 1949 nahm Fritz Winters Karriere rasant Fahrt auf: Noch im selben Jahr war er Mitbegründer der Künstlergruppe Zen 49, 1950 erhielt er den 2. Preis auf der 25. Biennale in Venedig. Es folgten Auszeichnungen durch die Städte Stuttgart und Darmstadt sowie durch den Deutschen Künstlerbund in Berlin. 1955 wurde er an die Staatliche Werkakademie in Kassel berufen.


Foto mit Maria Marc, Margarete Schreiber-Rüffer und Fritz Winter vor dem Haus in Diessen um 1952.
"Die Schöpferischen Kräfte in der abstrakten Malerei" ist eine wichtige Publikation (und Ausstellungszyklus) zur abstrakten Malerei in Deutschland. Erschienen als Fritz Winter noch in russischer Kriegsgefangenschaft war. Der Aufsatz "Über Fritz Winter" von Margarete Schreiber-Rüffer ebnete Winter den Weg um nach dem Krieg nahtlos an seine Karriere anzuknüpfen.
Hedwig Marbach
– Winters Berner Galeristin
Auch der Kunstmarkt reagierte auf Winters wachsende Erfolge – insbesondere durch die Berner Galerie Marbach. Die Berner Galeristin Hedwig Marbach erinnert sich 1968:
«Die ersten Originale sah ich an der Biennale in Venedig 1950 […] dort hingen zwei Bilder […] daraus sprach eine gereifte Persönlichkeit, ein begnadeter Künstler, der durch eine gute Schule gegangen war. Ich fasste den Entschluss diesen Künstler kennenzulernen, ihn vielleicht für meine Galerie zu verpflichten»
Beim ersten Besuch in Winters Atelier in Dießen am Ammersee traf sie auf Margarete Schreiber-Rüffer, die ihr eine Auswahl neu entstandener Werke zeigte – drei davon erwarb sie sofort. Kurz darauf nahm Marbach Winter unter Vertrag und sicherte sich ein Vorkaufsrecht: «Fünf Jahre lang mache ich monatlich die Reise an den Ammersee, um aus dem Neugeschaffenen meine Wahl zu treffen» . So entstand nicht nur eine enge Zusammenarbeit, sondern auch die damals größte und wohl exklusivste Sammlung von Werken Fritz Winters, die Teil der Provenienz wesentlicher Werke unserer aktuellen Ausstellung ist.


Foto mit Fritz Winter im Gespräch mit seiner Galeristin Hedwig Marbach vor dem Hause des Künstlers in Diessen, Herbst 1955
Die Kataloge Marbach versammelten die Werke die Hedwig Marbach als Galeristin von Fritz Winter in den Jahren 1950–1955 erworben hat und damit damals die grösste Sammlung an Werken Fritz Winters schuf. Die Galerie Marbach war in Bern und Paris vertreten und wurde nach dem 2. Weltkrieg eine wichtige Akteurin in der Karriere von Fritz Winter.

Fritz Winter
Pflanzlich Ornamental
1953
Öl auf Leinwand
50.5 x 73 cm
1954/1955
– «Alla Prima» zur documenta I.
Das Herzstück der Ausstellung bilden zwölf Gemälde aus den Jahren 1954/1955, alle im Format 75 x 100 cm und alle aus Marbachs Sammlung. Der Kunsthistoriker Karlheinz Gabler ordnet sie der Werkphase der „Notationsbilder“ zu – Bilder, die wie bildgewordene Aufzeichnungen wirken. Der Begriff „Notation“ verweist auf die Fixierung flüchtiger Vorgänge wie Musik, Bewegung oder Sprache – ein passender Vergleich angesichts von Winters Schaffensprozess.
Ergänzt wird die Werkgruppe durch farbige und schwarzweiße Kreide- und Kohlezeichnungen, die als Studien oder Vorstufen dieser Notationen gelesen werden können. Sie eröffnen einen Einblick in das formale Repertoire des Künstlers und machen die Vielgestaltigkeit seiner abstrakten Sprache sichtbar.

Fritz Winter
Vor Grau und Gelb
1955
Öl auf Papier auf Leinwand
75 x 100 cm
Allen gezeigten Werken ist eine konsequente Reduktion auf einfachste Formelemente gemein. Sie sind „alla prima“, also ohne nachträgliche Korrekturen, in freier Handschrift entstanden. In ihnen zeigt sich nicht nur die unerschöpfliche Fantasie Winters, sondern auch eine psychographische Qualität – als ob sich Erfahrungen eines halben Jahrzehnts in konzentrierter Form niederschlagen und auf einen grossen Nenner bringen.
Ein monumentaler Ausdruck dieses „großen Nenners“ fand seinen vorläufigen Höhepunkt in der Arbeit „Komposition vor Blau und Gelb“. Als Wandbild präsentiert, diente es dem documenta-Initiator Arnold Bode als symbolträchtiger Hintergrund für die feierliche Eröffnung der documenta I. am 15. Juli 1955 – ein kraftvoller Rahmen für Werner Haftmanns programmatischen Ausruf:
„Kunst des 20. Jahrhunderts!“

Fritz Winter um 1949
Foto: Fritz Winter Stiftung Ahlen
Ausstellungskatalog zur Ausstellung
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