Text zur Ausstellung

Mit der Ausstellung „Fritz Winter. Wege zur documenta (1949–1955)“ würdigt die Galerie Henze & Ketterer einen der bedeutendsten Vertreter der deutschen Nachkriegsmoderne. Kuratiert von Patrick Urwyler, beleuchtet die Schau zentrale Schaffensjahre des Künstlers, dessen Werk „Komposition vor Blau und Gelb“ 1955 als zentrales Exponat der ersten documenta I. Furore machte und den vorläufigen Höhepunkt Winters bemerkenswerter Karriere darstellte.

Die Ausstellung zeichnet Winters künstlerischen Weg von der Bauhaus-Zeit über das Trauma des Krieges bis hin zu seinem internationalen Durchbruch nach – begleitet von Schlüsselfiguren wie Winters «Meister» Paul Klee, seiner Managerin Margarete Schreiber-Rüffer und seiner Berner Galeristin Hedwig Marbach.

Herzstück der Ausstellung sind 12 Gemälde aus den Jahren 1954/55, ergänzt durch selten gezeigte Arbeiten aus Papier, die uns wichtigen künstlerischen Entwicklungen dieser Zeit lebhaft vor Augen führen. Fritz Winter Werke sind Ausdruck eines unerschütterlichen künstlerischen Willens, getragen von einer tiefen Verbindung zur Natur, zur Form und zur schöpferischen Energie.

Die Ausstellung feiert Fritz Winters Werk als Symbolfigur des Neuanfangs der die documenta I markierte und gibt einen faszinierenden Einblick in die Genese der Abstraktion nach 1945.

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Mit der Ausstellung „Fritz Winter. Wege zur documenta (1949–1955)“ rückt die Galerie Henze & Ketterer eine der prägendsten künstlerischen Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsmoderne in den Fokus. Anlässlich des 70-jährigen Jubiläums der ersten documenta im Jahr 1955 wirft die von Patrick Urwyler kuratierte Schau einen konzentrierten Blick auf entscheidende Jahre, die Fritz Winter (1905–1976) in die erste Reihe der zeitgenössischen Kunst rückten sollten.

Sein Gemälde „Komposition vor Blau und Gelb“1 war 1955 das zentrale Werk im Malereisaal des Museum Fridericianum in Kassel – ein Symbol für das neue Selbstbewusstsein der deutschen Nachkriegsabstraktion. Direkt gegenüber von Picassos „Mädchen vor einem Spiegel“2 präsentiert, wurde Winters großformatige Arbeit zu einem Sinnbild für den gelungenen Anschluss der westdeutschen Malerei an die internationale Kunstentwicklung.

Zwei zentrale Wegbereiterinnen von Fritz Winters Erfolg waren die Dichterin, Intellektuelle und Lebenspartnerin Dr. Margarete Schreiber-Rüffer (1890–1958) sowie die Berner Galeristin Hedwig Marbach. Ihr Wirken in den Jahren nach dem Krieg verdient besondere Beachtung – nicht zuletzt, weil es unmittelbare Auswirkungen auf die heutige Ausstellung hat. Doch dazu später mehr.

Richtungsweisend für Winters künstlerischen Weg sind drei frühe Werke, die zu Beginn der Ausstellung gezeigt werden. Sie stehen für die Phase vor dem Zweiten Weltkrieg und sind entscheidend für das Verständnis seiner Arbeiten der 1950er Jahre. Ingeborg Henze-Ketterer und Wolfgang Henze formulieren rückblickend: „In einem Bild der 50er Jahre sind Zeichen, Formen und Farben der Anfänge um 1930 ebenso gegenwärtig wie die späterer Jahre bereits erahnbar“3.

Den Auftakt bildet das Gemälde „Ohne Titel“4  von 1930 – ein Werk, das zeitlich, formal und inhaltlich direkt auf Winters künstlerischen Anfänge verweist. Besonders prägend war für ihn die Ausbildung am Bauhaus in Dessau (1927–1930), insbesondere die freien Malklassen bei Paul Klee. In Klee, der ihm große Aufmerksamkeit schenkte, fand Winter seinen „Meister“5. Neben Klee waren auch Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer wichtige Einflüsse, doch es war vor allem Klee, der ihm zentrale Impulse vermittelte – darunter den Gedanken der Genesis: Der Entstehungsprozess eines Werkes ist für Winter von grundlegender Bedeutung. «Der Malakt wird nicht als Mittel verstanden, bestimmte Vorstellungen zu verbildlichen, sondern ist in seinem Vollzug das Bild selbst. Das Gemälde ist statisches Ergebnis des Malens […]»6.  Das natürliche Wachsen war dabei Vorbild des künstlerischen Schaffens: Nicht nach der Natur, sondern wie die Natur sollte ein Künstler arbeiten.

Die Natur legt die Basis für Winters abstraktes Werk. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in Kandinskys Überzeugung wider, dass es nicht um das Abbild äußerer Erscheinungen geht, sondern um die Darstellung innerer Kräfte. Bewegung, Energie und Rhythmus werden dabei durch abstrakte Mittel wie Linie, Punkt, Fläche und Farbe zum Ausdruck gebracht. Ein zusätzliches expressives Moment kam durch Ernst Ludwig Kirchner in Winters Werk – ein Künstler, den Winter während und nach seiner Bauhauszeit in der Schweiz mehrfach besuchte.

Mit dem Gemälde „K III 100“7 von 1939 setzt die Ausstellung Winters Weg fort. Hinter sich die dreissiger Jahre mit einer dynamischen Weiterentwicklung der eigenen abstrakten Formsprache und einer sich anbahnenden Karriere. Doch die Machtergreifung der Nationalsozialisten und sein Rückzug an den Ammersee bremsten diese Entwicklung. 1937 wurde Winter als „entarteter Künstler“ diffamiert und mit Malverbot belegt. Der endgültige Einschnitt erfolgte 1939 mit seiner Einberufung zum Kriegsdienst.

Das Werk „K III 100“ kündigt bereits jene Serie kleinformatiger Blätter an, die 1944 während eines Fronturlaubs entstand: „Triebkräfte der Erde“ – eine Gruppe von rund 50 Zeichnungen, die heute als Schlüsselwerke der deutschen Nachkriegsabstraktion gelten. Die inneren Kräfte des Künstlers blieben trotz Krieg ungebrochen. Diese Phase wird oft als Winters „Innere Emigration“ beschrieben – ein Rückzug in die geistige Auseinandersetzung mit Natur und Schöpfung:

"Nichts kann einen tiefer erschüttern, als wenn einen so ganz ohne Habe, so ganz ohne ziviler Mensch zu sein, eine Blüte, ein Blatt begegnet und einem das Grosse der Schöpfung zuteil wird. […] Dass der Krieg mir diese Möglichkeit gibt, lässt mich ihn ertragen."8

«Im Unendlichen»9 heisst das Gemälde von 1949, dem Jahr das die Rückkehr Winters aus dem Krieg bzw. der sowjetischen Gefangenschaft markierte. «Nicht mehr Triebkräfte der Erde, sondern Elementarkräfte unseres unanschaulich gewordenen Naturbegriffs drängen zu bildnerischer Gestalt.»10 Das Gemälde gehört zur kleineren Werkphase der energetischen Bilder, schwebende Formen, die wie Kraftfelder wirken und von einer Suche nach neuen Ausdrucks- und Gestaltungsformen zeugen. Diese Bilder sind zugleich Ausdruck einer beispiellosen Kontinuität. Winter gelingt in der Folge innert kürzester Zeit die nahtlose Wiederanknüpfung an die nationale und internationale Kunstwelt.

Nach 1949 war es insbesondere Dr. Margarete Schreiber-Rüffer11, die maßgeblich dazu beitrug, dass Winters Werk während seiner Abwesenheit nicht in Vergessenheit geriet – im Gegenteil: Sie trieb seine Bekanntheit im In- und Ausland voran12. Während des Krieges und in den Jahren danach organisierte sie Ausstellungen in Stuttgart, Karlsruhe, Hannover, Köln, Berlin, München, Paris und in der Schweiz. Sie pflegte Kontakte zu Kunsthistorikern, Galeristinnen und Sammlern – darunter auch Ottomar Domnick, ein wichtiger Förderer der abstrakten Kunst in Deutschland.

Schreiber-Rüffer veröffentlichte 1947 den wegweisenden Aufsatz „Über Fritz Winter“13 im Buch „Die schöpferischen Kräfte in der abstrakten Malerei“14 – ein Werk, das zusammen mit der begleitenden Ausstellung abstrakter Künstler (darunter Winter) maßgeblich zur Etablierung der Abstraktion in Deutschland beitrug. Ihr Engagement war die Grundlage für Winters spätere Karriere. Ab 1952 firmierte sie als Schreiber-Winter und blieb bis zu ihrem Tod 1958 eine kluge und unentbehrliche Managerin Winters künstlerischen Wirkens.

Nach 1949 nahm Fritz Winters Karriere rasant Fahrt auf: Noch im selben Jahr war er Mitbegründer der Künstlergruppe Zen 49, 1950 erhielt er den 2. Preis auf der 25. Biennale in Venedig. Es folgten Auszeichnungen durch die Städte Stuttgart und Darmstadt sowie durch den Deutschen Künstlerbund in Berlin. 1955 wurde er an die Staatliche Werkakademie in Kassel berufen.

Auch der Kunstmarkt reagierte auf Winters wachsende Erfolge – insbesondere durch die Berner Galerie Marbach. Die Berner Galeristin Hedwig Marbach erinnert sich 1968:

"Die ersten Originale sah ich an der Biennale in Venedig 1950 […] dort hingen zwei Bilder […] daraus sprach eine gereifte Persönlichkeit, ein begnadeter Künstler, der durch eine gute Schule gegangen war. Ich fasste den Entschluss diesen Künstler kennenzulernen, ihn vielleicht für meine Galerie zu verpflichten."15

Beim ersten Besuch in Winters Atelier in Dießen am Ammersee traf sie auf Margarete Schreiber-Rüffer, die ihr eine Auswahl neu entstandener Werke zeigte – drei davon erwarb sie sofort. Kurz darauf nahm Marbach Winter unter Vertrag und sicherte sich ein Vorkaufsrecht: «Fünf Jahre lang mache ich monatlich die Reise an den Ammersee, um aus dem Neugeschaffenen meine Wahl zu treffen»16. So entstand nicht nur eine enge Zusammenarbeit, sondern auch die damals größte und wohl exklusivste Sammlung von Werken Fritz Winters, die Teil der Provenienz wesentlicher Werke unserer aktuellen Ausstellung ist.

Das Herzstück der Ausstellung bilden vierzehn Gemälde aus den Jahren 1954/1955, alle im Format 75 x 100 cm und alle aus Marbachs Sammlung. Der Kunsthistoriker Karlheinz Gabler ordnet sie der Werkphase der „Notationsbilder“17 zu – Bilder, die wie bildgewordene Aufzeichnungen wirken. Der Begriff „Notation“ verweist auf die Fixierung flüchtiger Vorgänge wie Musik, Bewegung oder Sprache – ein passender Vergleich angesichts von Winters Schaffensprozess.

Ergänzt wird die Werkgruppe durch farbige und schwarzweiße Kreide- und Kohlezeichnungen, die als Studien oder Vorstufen dieser Notationen gelesen werden können. Sie eröffnen einen Einblick in das formale Repertoire des Künstlers und machen die Vielgestaltigkeit seiner abstrakten Sprache sichtbar.

Allen gezeigten Werken ist eine konsequente Reduktion auf einfachste Formelemente gemein. Sie sind „alla prima“, also ohne nachträgliche Korrekturen, in freier Handschrift entstanden. In ihnen zeigt sich nicht nur die unerschöpfliche Fantasie Winters, sondern auch eine psychographische Qualität – als ob sich Erfahrungen eines halben Jahrzehnts in konzentrierter Form niederschlagen und auf einen grossen Nenner bringen.18

Ein monumentaler Ausdruck dieses „großen Nenners“ fand seinen vorläufigen Höhepunkt in der Arbeit „Komposition vor Blau und Gelb“. Als Wandbild präsentiert, diente es dem documenta-Initiator Arnold Bode als symbolträchtiger Hintergrund für die feierliche Eröffnung der documenta I am 15. Juli 1955 – ein kraftvoller Rahmen für Werner Haftmanns programmatischen Ausruf: „Kunst des 20. Jahrhunderts!“

Die Ausstellung mit 12 Gemälden, dazu einer Auswahl farbiger sowie schwarzweißer Zeichnungen, eröffnet einen einzigartigen Zugang zu Fritz Winters Kosmos – und damit zu einem Künstler, der 1955 zu einer Schlüsselfigur der abstrakten Nachkriegskunst in Deutschland wurde.

Patrick Urwyler

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1. Fritz Winter, Komposition vor Blau und Gelb, 1955, Öl auf Leinwand, 381 × 615 cm (Museumslandschaft Hessen Kassel)

2. Picasso, Mädchen vor dem Spiegel, 1932, Öl auf Leinwand, 162.3 x 130.2 cm (Museum of Modern Art, New York)

3. Fritz Winter, Werke aus den Jahren 1929-1959, Katalog 50, Galerie Henze, Campione D’Italia, 1992, S. 5.

4. Fritz Winter, Ohne Titel, 1930, Öl auf satiniertem Karton, 50 x 65 cm, Lohberg 79.

5. vgl. Lohberg, Gabriele, «Fritz Winter am Bauhaus in Dessau», in: Klee Winter Kirchner, 1927-1934, Katalog der Ausstellung, Westfälisches Landesmuseum Münster; Pinakothek

6. Lohberg, Gabriele, Fritz Winter – Leben und Werk: mit Werkverzeichnis der Gemälde, München: Bruckmann, 1986, S.78.S. 25-42.

7. Fritz Winter, K III 101, 1939, Öl auf Leinwand, 90 x 70 cm, Lohberg 746.

8. Aus einem Brief von Fritz Winter (ohne Jahr), in: Schreiber-Rüffer, Margarete, «Über Fritz Winter», in: Die schöpferischen Kräfte der abstrakten Malerei, Ein Zyklus, hrsg. von Ottomar Domnick, Bergen: Müller & Kiepenheur, 1947, S.30-40.

9. Fritz Winter, Im Unendlichen, 1949, Öl auf Bütten, auf Karton aufgezogen, 50 X 70 cm, Lohberg  865.

10. Gabler Karlheinz, «Fritz Winter, Werke aus den Jahren 1949 bis 1956, Einführung Karlheinz Gabler», in: Katalog Marbach Nr. 147-581, Bern: Marbach-Verlag, 1968, S.3.

11. vgl. Aufsatz: Ossowski Christina, Muse – Managerin – Lebensgefährtin. Margarete Schreiber-Rüffer und der Maler Fritz Winter, in: Schwäbische Heimat, Magazin für Geschichte, Landeskultur, Naturschutz und Denkmalpflege, 2023/1, 42-48.

12. vgl. eine detaillierte Beschreibung der Tätigkeiten von Margarete Schreiber-Rüffer bei Ossowski 2023, S. 45 und Lohberg 1986, S.24-25

13. Schreiber-Rüffer, Margarete, «Über Fritz Winter», in: Die schöpferischen Kräfte der abstrakten Malerei, Ein Zyklus, hrsg. von Ottomar Domnick, Bergen: Müller & Kiepenheur, 1947, S.30-40.

14. Die schöpferischen Kräfte der abstrakten Malerei, Ein Zyklus, hrsg. von Ottomar Domnick, Bergen: Müller & Kiepenheur, 1947.

15. Marbach Hedwig, «Wie ich zu Fritz Winter kam», in: Katalog Marbach Nr. 147-581, Bern: Marbach-Verlag, 1968, S.7.

16. Marbach 1968, S.7.

17. vgl Phasentabelle von Karlheinz Gabler, in: Katalog Marbach Nr. 147-581, Bern: Marbach-Verlag, 1968, S.6.

18. Marbach 1968, S.5.

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