Text zur Ausstellung

Landschaften von Bargheer, Felixmüller, Heckel, Kirchner, Pechstein und Purrmann. Stilleben von Hofer, Kirchner, Nolde, Peiffer Watenphul, Purrmann und Schmidt-Rottluff. Menschen von Eble, Kirchner und Rohlfs.

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Erläuterungen zu den einzelnen Kunstwerken und Künstlern dieser Ausstellung:

Der Hamburger Sezessionist Eduard Bargheer malt 1938 unmittelbar vor seiner unfreiwilligen Auswanderung nach Ischia seine grandiose Nordsee-Wattlandschaft, zieht den flachen Horizont in expressionistischer Manier fast bis an die obere Bildkante und entwirft in heftigen Blau- und Violett-Tönen eine heftige von Prielen durchfurchte Watt-Landschaft bei Ebbe.

Mit einem Stipendium des Basler Kunstvereines kam Theo Eble 1922 an die Akademie der Künste in Berlin und war dort bis 1925 Meisterschüler von Karl Hofer, in dessen Atelier diese Szene eines stehenden und eines sitzenden Modelles gesehen sein dürfte. Theo Eble malt diese nicht nackt und in Pose sondern in ihrer normalen Kleidung in einem scheinbar unbeobachteten Augenblick.

Der Dresdner an der dortigen Kunstakademie ausgebildete Maler der zweiten Generation der Expressionisten, Conrad Felixmüller lebte von 1918 bis 1925 im nahen Klotzsche, praktisch einer Vorstadt, in der Gartenstrasse 10. Hier wohl ein Blick aus dem Fenster dieses Hauses, als sich unter verhangenem Himmel und steigenden Wintertemperaturen Eis und Schnee blau färbten und eine abendliche Sonne von rechts unter den Wolken hindurch einige rote Tupfer auf Häuser und Wege brachte.

1910 reisten Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner nach Hamburg und besuchten Gustav Schiefler, den Spiritus Rector des dortigen frühen "Brücke"-Sammlerkreises, und in den folgenden Jahren des öfteren auch in dessen Landhaus in Mellingstedt, wo Heckel diverse Alsterlandschaften und die Mellingburger Schleuse in allen Techniken darstellte. Wie so oft in den Landschaften Erich Heckels wird in «Alsterlandschaft (Die Alster bei der Mellingburger Schleuse» die untere Hälfte von einem Fluss bzw. hier von der schmalen Alster, die sich zu einem kleinen Teich weitet, eingenommen. Die gegenüberliegende Uferlinie teilt die Komposition waagerecht in der Mitte. Rechts verschwindet die Alster etwas höher unter den Bäumen, welche die obere Bildhälfte beherrschen, nur wenig vom darüber liegenden blauen Himmel frei lassend. Obwohl auch in der unteren Hälfte das sich auf der Wasseroberfläche spiegelnde Blau dominiert, überwältigt die Komposition doch das Grün der Bäume, ein Frühjahrsgrün. Die Parklandschaft wird zu einem Vegetationsbild. Die reine Landschaft war bereits im frühen Werk von Erich Heckel von hoher Bedeutung. In den folgenden Jahrzehnten bis in die 1950er Jahre wurde sie dominant. In ihr konnte er seine jeweilige reine Malerei ohne Ablenkung durch bestimmte und bestimmende Gegenstände oder Personen entfalten. Hier in den heftigen expressiven Pinselhieben des Jahres 1913.

Das Jahr 1914 war janusköpfig diesseits und jenseits des 28. Juli. Davor lagen Jahrzehnte grosser Prosperität und immenser technischer, wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung in Mittel-Europa, vor allem in Deutschland, dessen Hauptstadt Berlin zum Motor und Weltzentrum dieses Geschehens wurde. Auch Erich Heckel war 1911 in dieses neue Zentrum des europäischen Expressionismus übersiedelt. Nach diesem Datum im Sommer 1914 wuchs plötzlich aus einem eigentlich lokalen Konflikt auf dem Balkan ein Weltkrieg: Österreich-Ungarn und Deutschland mit kleineren Verbündeten gegen den Rest der Welt. Nur einige wenige (bildende) Künstler sahen sogleich die Ausweglosigkeit der Lage voraus. In Erich Heckels Vita steht lapidar: "Nach Kriegsausbruch meldete sich Heckel freiwillig zur Ausbildung als Pfleger zum roten Kreuz nach Berlin. Er befreundete sich aber mit Franz Pfemfert, dem Herausgeber der 'Aktion' an." Eine eindeutige Aussage zu Heckels Einstellung: Lieber wollte er Pfleger sein als gemeiner Soldat. Überlegungen, wie sie auch Kirchner zur gleichen Zeit anstellte. Die Freundschaft mit Franz Pfemfert bedeutete, dass Heckel Gegner des Krieges war wie auch dieser, der in seiner Zeitschrift "Die Aktion" bis zum Kriegsende immer hart an der Zensur vorbei gegen diesen anschrieb.

Schuf Erich Heckel das Gemälde «Park von Dilborn II» nun vor oder nach dem 28. Juli 1914 entstanden? Der grau verhangene Himmel, das Vorherrschen verhaltener Grüntöne, die dominante negative Bilddiagonale, die drei spitzigen dunkelgrünen Akzente oben rechts, wohl Pappeln oder schmale Tannen, die aber hier wie die Zypressen auf italienischen Friedhöfen auftreten, die Heckel von seiner intensiv verarbeiteten Italienreise 1909 sehr gut kannte, das alles deutet auf ein Danach hin. Nun war Heckel aber im Frühjahr 1914 bei Heinrich Nauen in Dilborn gewesen. Das Gemälde kann natürlich durchaus später im Berliner Atelier entstanden sein. Allerdings war die Leuchtkraft der Farben der Dresdner Jahre bereits seit 1912/13 aus seinen Gemälden gewichen, Form und Farbe oft dissonant bis zum Zerreissen, als formuliere auch er Vorahnungen wie gleichzeitig Ludwig Meidner. Heinrich Nauen malte 1914 eine Reihe von Ansichten des Parks in Dilborn in ganz ähnlicher Farbgebung aber harmonischeren Formen. Auch Heckel malte eine Reihe von sechs Gemälden des Parks und der umgebenden Landschaft von Dilborn. Heckels Auseinandersetzung mit der Form nähert sich in ihnen einer Zerreissprobe und das - schon wegen ihrer Nähe zu den Arbeiten von Nauen - vor dem 28. Juli, denn danach verstummte er. Die wenigen Gemälde der folgenden Jahre waren vom Kriegserlebnis geprägt. In diesem Gemälde der ersten Jahreshälfte 1914 erkannte Heckel visionär, wie eben auch der mit ihm in Berlin arbeitende Meidner, die spannungsgeladenen übermächtigen Kräfte der Zeit. Kräftige Keile dringen von rechts und links in die Komposition und schiessen noch spitzer hinter diesen nach oben hervor. Nur links versucht ein ausladender Baum Harmonie, aber er ist bereits zu zerzaust: Grandiose Landschaftswelt in der Peripetie der Zeit in einem Augenblick, in welchem das Folgende noch nicht erkennbar war.

Im Frühjahr 1922 hielt Erich Heckel sich im Salzkammergut auf und dieses Gemälde «Gebirgslandschaft» zeigt im Hintergrund den 2.713 m hohen Watzmann, der zentrale Gebirgsstock der Berchtesgadener Alpen. Nach einem kurzen Wiederaufflammen expressiver Form und Farbe im Werk von Heckel nach Beendigung des Krieges beruhigte sich in den "Reisebildern" der 1920er Jahre seine Form, folgte durchaus wieder der Realität, jedoch nur in den Grundzügen. Zwischen diese spannen sich nach wie vor grosszügig flächige Farbfelder ohne jede Annäherung an neusachliche Präzision. Die Farbe selbst bewahrt ihre expressive Autonomie, in den Landschaften oft ein heftiger Grün-Blau-Klang, hier mit rosa Bäumen und ebenfalls rosa Geröllfeldern im Blau des bildbeherrschenden Gipfels, welcher in die weissen Wolken ragt. Heckel erarbeitet sich seinen persönlichen Beitrag zur nachexpressionistischen Kunst. Trotz hoher Eigenständigkeit kann dieser durchaus als Magischer Realismus apostrophiert werden, der sich durch ein hohes Mass an Nüchternheit und Klarheit auszeichnet und so gar nichts mit der in Vergleichen immer wieder beschworenen Romantik gemein hat.

In den 50er Jahren arbeitete Erich Heckel mehrere Male einige Sommermonate im Engadin. Dies oft in grosser Höhe oberhalb der Baumgrenze und bei jedem Wetter. In diesen Engadiner Gebirgslandschaften ging es Erich Heckel nicht um heroische Berge und grandiose Steilwände sondern um die Einsamkeit und Verlassenheit, um die grosse Ruhe und die Reflexe der Witterung in der Landschaft, ihr Farbenspiel auf den Felsen, Halden, Alpen, Gewässern und vor allem auf Eis und Schnee, die er wie keiner mit den nachexpressiven Mitteln der Moderne zu gestalten wusste. Auf diesen Berghängen, deren Felsspitzen - hier in «Berghänge (Berghänge bei Corviglia)» die "Trais Fluors" die Drei Blumen bei Celerina - aus weiten Halden wachsen, spielt auf dem nackten Stein und auf dem nach unten zu dichteren Grün eine allumfassend-diffuse rosa Abendbeleuchtung, auch in den darüber liegenden hellen Wolken, vielleicht noch verstärkt durch rötlichen Scirrocco-Staub aus der Sahara, der sich vor allem in den Höhen der Alpenkämme bemerkbar machen kann. Ein typisches und exemplarisches Gemälde dieser Engadiner Werkgruppe von Erich Heckel, die sich jener Zone der Erde widmet, in welcher der Mensch üblicherweise nur kurzfristiger Gast sein kann.

Beim «Gemüsestilleben» von 1943 des Berliner Malers Karl Hofer handelt es sich wohl nicht um eine von Hofers nach dem Atelierbrand von 1943 einsetzenden Wiederholungen zerstörter Gemälde. Es dürfte vielmehr ein authentisches Werk dieser Zeit sein. Wenn Hofer bei einigen anderen Stilleben dieses Jahres Cézanne nicht aus den Augen verlor, so scheinen hier eher die alten Meister der Niederlande Pate gestanden zu haben, selbstverständlich Alles im Pinselduktus und der Farbigkeit der spätexpressiven Neusachlichkeit Hofers. Blumenkohl, grüner und roter Kohlrabi, Paprika: Gemüse, dass im Spätsommer/Herbst 1943 in und um Berlin reifen konnte. Bis auf die Zitrone, die wohl aus dem Süden kam und rechts vorn in gekrümmter Form eine Gurkenart oder vielleicht "Shotis Puri" ein spezielles georgisches Brot.

Ernst Ludwig Kirchner lernt den Forstaufseher und Tänzer Hugo Biallowons (Sensburg 1879 - 1916 Verdun) 1914 als engen Freund und Gefährten des Archäologen und Kunsthistorikers Botho Graef (1857 Berlin – Königstein 1917) kennen. Schon im selben Jahr malte er "Porträt Hugo" Der frühe Kriegstod von Hugo Biallowons bei Verdun 1916 erschüttert Kirchner sehr. Dessen Lebensgefährte Prof. Botho Graef starb wenige Monate danach an gebrochenem Herzen. Der Verlust dieser beiden Grundpfeiler erschütterte seine seelische Stabilität durch die Schrecken des ersten Weltkrieges, führten letztendlich zu einer existenziellen Angst und zu Kirchners Zusammenbruch, Krankheit und langen Sanatoriumsaufenthalten. Umso bemerkenswerter ist seine künstlerische Produktion in dieser Zeit. Entstanden doch seine wohl wichtigsten Werke in diesen schweren, schicksalshaften Jahren.

Technisch ist Ernst Ludwig Kirchners Gemälde «Hohe Kiefern vor Hügellandschaft» einzigartig, denn es ist auf Holz gemalt. Kirchner benützte für Ölmalerei praktisch immer die Leinwand, nur in einigen wenigen Fällen Karton. Nicht einzigartig aber doch immerhin als besonders ist zu erwähnen: Es ist doppelseitig bemalt, einmal in den frühen 1920er Jahren und das zweite Mal in den frühen 1930er Jahren. Diese zweite Bemalung, "Stehender Akt in Gelb und Rosa" 1930-1932, Gordon 720 v., ist jedoch in diesem Fall ganz offensichtlich unvollendet und die Übermalung daher wirklich als Verwerfung einzustufen. Besonders oder einzigartig ist jedoch auch die Komposition. Spirrige, hochgewachsene, schlaksige Bäume kennt die Kunstgeschichte mindestens seit der berühmten "Allee von Middelharnis" von Meindert Hobbema. Solche einzelne oder in wenigen Exemplaren zusammenstehenden hochgeschossenen Bäume, die nur ganz oben eine kleine Krone tragen, gibt es in einiger Menge auch im Werk von Ferdinand Hodler. In diesem Fall dürfen wir, weil diese Komposition wirklich ein Sonderfall in der Landschaftsmalerei von Kirchner ist, doch annehmen, dass Kirchner Hobbema und Hodler in den Augen hatte, als er dieses Motiv in der Davoser Landschaft beobachtete und für sich festhielt. Schliesslich war er in der Nachfolge von Segantini, Giacometti und eben Hodler zum vierten grossen Maler der Alpenlandschaft in der Moderne geworden, was er genau wusste. Aus diesem Grunde musste er sich auch an dieser speziellen Thematik solitärer Bäume auf hohen, schlanken Stämmen widmen. Eine Aufgabe, die er glänzend und ganz in seinem Sinne gelöst hat. Der grössere seiner beiden Helden durchstösst sogar, wie bei Kirchner zumeist, den oberen Bildrand: Kirchners Davoser Landschaft pur, in heftigen Formen von grünen und braunen Tönen unter ebenso heftigem blau-weissem Himmel.

In Ernst Ludwig Kirchners Gemälde «Bauer einen Schubkarren ziehend» aus dem Jahr 1925 zieht ein Davoser Bergbauer einen Schubkarren nach links einen Hang hinauf. Seine vorgebeugte Gestalt füllt bildbeherrschend das Gemälde. Der Hang im unteren und linken Teil ist bereits grün und von violettem Krokus übersäht, während im Hintergrund die Landschaft und die Bäume noch Schneebedeckt sind. Der heftigen und kraftvollen Bewegung des Bauern mit Schubkarre von rechts unten kontrastiert hinter diesem eine Gegenbewegung eines Pferdes, das sich von links oben nach rechts unten in vorsichtigem Schritt einen Weg zwischen Schneeflächen fast hinunter tänzelt.

1925/26 malte Kirchner das Gemälde in den ersten Formen seines gerade einsetzenden "Neuen Stiles", in dem einheitliche Farbflächen in die differenzierten Farbpartien eindringen. Diese Farbflächen hat er nach 1930 im Sinne seiner späten Kunsttheorie mit parallelen Schraffuren übergangen. Diese zumeist in der Diagonalen von links unten nach rechts oben, so die in der Bildkomposition dominierende Gegendiagonale konterkarierend und ausgleichend.

Kirchner setzte nach seiner definitiven Übersiedlung nach Davos seine bisherigen Bildthemen praktisch sämtlich fort oder baute sie weiter aus, wie ganz besonders seine Landschaftsmalerei in der Darstellung der Davoser Bergwelt. Nach Segantini, Hodler und Giovanni Giacometti wurde er zum vierten bedeutenden Alpenmaler der Moderne. Was ihn jedoch von diesen drei unterscheidet und für Kirchner zu einem Alleinstellungsmerkmal wurde, war seine Vorliebe für das Leben der Bergbauern von Davos, das er sehr genau beobachtete und darstellte. Er setzte ihnen in seinem Werk ein umfangreiches malerisches Denkmal und schuf hierdurch einen ganz wesentlichen Beitrag zum Arbeitslebenbild der Moderne zwischen den Kriegen. Dieses Gemälde ist ein zentrales Beispiel für diese Werkgruppe Kirchners.

Eine Szene, getaucht in das Blau eines frühen Morgens in den Bergen, noch ohne Sonnenlicht. Blau und Pastellgrün dominieren das Zentrum vor dem bläulichen Weiss des Schnees in der oberen Bildhälfte und dem Violett und Grün des Krokusses und der Wiese in der unteren. Violett erscheint aber auch in den Schatten des Gesichtes, des Pferdes und hinter den Bäumen oben rechts als farbige Klammer der Komposition. Ein solcher Farbklang gelingt nur Kirchner.

Ernst Ludwig Kirchners „Stilleben mit Krügen und Kerze“, erwarb Roman Norbert Ketterer aus dem Nachlass des Künstlers, nachdem er diesen 1954 von den Erben Kirchners zur Verwaltung übernommen hatte. 1960 wurde es in der Wanderausstellung seiner Sammlung durch die Museen Deutschlands und der Schweiz gezeigt, mit Farbtafel im Katalog. Von 1968 bis 2006 befand sich das Gemälde in einer Kölner Sammlung.

Drei Gefässe von kräftigem Rot, zwei Krüge, einer gefüllt, und eine Schale mit einigen Früchten, umdrängen einen blauen Kerzenleuchter mit weisser Kerze, auf einer ockerfarbenen Tischplatte vor einem ähnlichfarbenen Holz, vielleicht bereits geschnitzt, und einer Wandecke in verschiedenen dunklen Blautönen. Die Farben sind oft mit Weiss durchmischt, auch in der Pinselsignatur unten links, die Kirchner mit dem helleren Blau, mit dem er den Kerzenleuchter konturierte, vornahm.

Ein programmatisches Werk, in dem die Volumina - denn darum geht es vor allem bei den Gegenständen eines Stillebens - in die Fläche projiziert werden. Der spätere "Neue Stil" kündigt sich an.

Der Anblick des Sturzes eines Pferdes und seiner Reiterin muss Ernst Ludwig Kirchner enorm beeindruckt haben, so dass er das Erlebnis in dem kleinen Gemälde «Reiterin mit gestürztem Pferd» mit den eigentlich für ein solches Ereignis völlig ungeeigneten Mitteln seines «Neuen Stiles» trotzdem darstellte. Die konvulsivischen Formen des noch in der Luft sich überschlagenden Pferdes und der fliehenden Reiterin durchdringen sich zu einer fast abstrakten Form-Farb-Komposition der abstraction-création, der sich Kirchner in diesen Jahren annäherte.

Die «Sängerin am Piano» aus dem Jahre 1930 von Ernst Ludwig Kirchner sitzt in Bildmitte vor der Klavier-Tastatur, die sie bespielt, während sie singt, und ist umgeben von Zuhörern und aus der Tastatur aufspringenden und sich auftürmenden Tönen ähnlich den Tonsäulen heutiger Displays in Tonstudios. Ein zentrales und paradigmatisches Werk von Kirchners «Neuem Stil» dieser Jahre, dem zwar durchaus ein konkretes Seh-Erlebnis zugrunde liegt, das aber ebenso alle Charakteristika einer abstrakten Komposition der europäischen abstraction-création dieser Jahre aufweist, wenn man den Darstellungsgegenstand ausblendet.

Dieselbe Nähe zur Formensprache der gesamteuropäischen abstraction-création der frühen 1930er Jahre trifft für die «Nächtliche Phantasielandschaft in Grün und Schwarz» von Ernst Ludwig Kirchner zu. Schwarze in sich verschlungene Schatten vor dunkelgrüner Landschaft unter einem schmalen Streifen dunkelgrünem Himmel mit Mond und Sternen. Eine der vielen Davoser Mondnächte von Kirchner, die er auch in seinem «Neuen Stil» bewältigt.

Emil Nolde genügte im zweiten Kriegsjahr 1915 in «Vase mit Blumen» ein kleiner Strauss violetter Blumen in einer blauschimmernden trinkbecherartigen Vase vor dunkelblauem Hintergrundwand auf einer roten Tischplatte, die das kleine Gemälde hälftig teilt, für ein expressives Stilleben. Die Vase ist leicht nach links aus der Mitte gerückt, die Szene ist von links hinter dem Betrachter beleuchtet, so dass nach rechts hinten auf Tisch und Wand Schatten geworfen wird. Als reines «Blumenstück» unter den Stilleben bei Nolde eher die Ausnahme und daher von grosser Eindringlichkeit.

Max Pechstein malte diese «Walliser Hütten (bei Saas Almagell)» 1923 in mächtiger Unteransicht über die gesamte Bildhöhe vor ebenso mächtigen 4000dern im Hintergrund auf einer seiner Schweiz-Reisen der 1920er Jahre, als er dort seinen Freund, Förderer und Sammler Dr. Walter Minnich in Montreux besuchte. Diese Hütten stehen noch heute in gleicher Position in der Berglandschaft. Im Fotovergleich wir die expressive Umsetzung von Form und Farbe erkennbar, die Monumentalisierung einer kleinen und eigentlich unwesentlichen Architektur in feurigem Abendlicht auf den rotbraunen Holzbalken unter einem schwefelgelben aufgewühlten Himmel.

Zwar hatte sich anfänglich fast naive Malerei des Bauhaus-Schülers Max Peiffer Watenphul ab 1922 bereits nuanciert aufgelöst. Mit seinem Aufenthalt 1924-25 in Mexiko brach jedoch plötzlich ein heftiges expressives Farbenfeuer in seiner Malerei aus, das nur wenige Jahre loderte. Aus dieser Schaffensperiode stammen die beiden Stilleben «Grosses Stilleben mit Feldblumen» und «Stilleben mit Blumen» von 1924.

Hans Purrmann, Schüler von Henri Matisse und Spiritus Rector von dessen Schule in Paris, der sog. «Académie Matisse» 1908 zog es immer wieder nach Paris, nach Südfrankreich, an den Bodensee, nach Italien, nach Rom, wenn auch Berlin sein organisatorischer und wirtschaftlicher Schwerpunkt wurde. Für 1925 ist in seiner Vita keine Romreise angegeben, wohl aber für das Frühjahr 1926. Eine kleine aber unerhebliche Unsicherheit in der Datierung von "Atelierausblick auf den Monte Pincio". Nach Angaben bei Göpel 1961 befand sich das Atelier in der Englischen Akademie in Rom, Via Margutta 53. Die Erlebnisse von Cézanne, Matisse und Renoir verdichtet Purrmann in intensiver, expressiver Farbe zu eine Engführung ganz persönlichen Stiles in südlichem Licht.

1935 erhält Hans Purrmann überraschenderweise die Leitung der Deutschen Künstlerstiftung Villa Romana in Florenz. Ein Glücksfall für den «entarteten» Künstler und Nicht-Nazi, weil sein Ausweg in ein freieres Land, in dem vor allem Florenz bedeutende wenn auch ambivalente Freiheiten bot. Der «Brunnen der Villa Romana» im Park des Künstlerhauses mit seiner antikisierenden Schauwand fängt einen Sommertag in Freiheit und Schönheit des Jahres 1938 ein.

Im Juli 1943 landeten die Alliierten auf Sizilien. Ende August praktisch zeitgleich mit der Besetzung Italiens durch deutsche Truppen gelingt Hans Purrmann die Flucht in die Schweiz. Zuvor malte er nochmals den «Blick auf die Boboli-Gärten» und das hinter diesen liegende Florenz von Süden, von der Villa Romana aus. Eine der vielen Liebeserklärungen an diese Stadt, die ihn in lebensbedrohlicher Zeit beschützt hatte und die er jetzt verlassen musste. Hellere Grüntöne markieren den Vordergrund, dunklere mit vielen Zypressen den Mittelgrund der Gärten, im Grün einige rote Tupfer der Häuserdächer, dann heller werdendes Blau den Hintergrund der Apenninen-Kette und des darüber liegenden Himmels. Von hier aus lag damals das Licht, die Hoffnung, im Norden.

Eine der "Typen" von Christian Rohlfs wie "Der Zecher", "Gehetzter" oder "Spökenkieker", wie sie seine Szenen aus der Bibel und aus dem täglichen Leben seit 1915 ergänzen. (Ansonsten war er - wie die meisten Expressionisten - ein grandioser Maler der Natur- und der Stadt-Landschaft.) Rohlfs "Typen" waren zwielichtig aber keineswegs ausschliesslich negativ zu sehen sondern auch im sympathischen Bereich des Allzumenschlichem - wie übrigens auch seine biblischen und Genre-Szenen.

Dieser als Dreiviertelfigur gesehene "Gauner" nähert sich dem Betrachter mit leicht gesenktem Kopf, unterwürfig, schaut auf seine Hände, in denen er etwas dreht oder vielleicht Geld zählt - so geschickt und rasch, dass man glaubt, es sei der richtige Rest nach Zahlung, um später festzustellen, dass man doch beschummelt wurde.

Die Figur in dunklen, meist schwarzen, dann roten und blauen, ocker für das Inkarnat, weissen für das Hemd und der Hintergrund in hellen gelben und weissen Farbhieben mit breitem Pinsel der Leinwand versetzt. Diesen Eindruck gewinnt man bei näherem Hinsehen. Breite gerade Pinselstriche von jeweils bis zu zehn Zentimeter Länge rasch neben- und übereinandergesetzt, die längst nicht mehr beim Sehen aus grösserer Entfernung im Auge zu einer Mischfarbe zusammenfliessen wie die feineren Farbpunkte des Pointillismus. Im Gegenteil: Sie werden zwar nicht zu eigentlichen Farbflächen, gewinnen aber doch ein Eigenleben, so dass sie oberhalb der Stirn des Gauners zu teuflischen Hörnern werden können. Faun oder Beelzebub, auf jeden Fall eine schillernde Gestalt aus dem bunten Leben.

Das Rot der Bluse dominiert in der oberen Bildmitte. Es ist unten rechts und links in Rock und Möbeln, Kragen und Hut von viel kräftigem, dunkelbraun abgesetzten Blau umgeben, die Wand im Hintergrund türkis. Dunkelbraun auch Arme und Gesicht des Mädchens, erstaunlicherweise. Expressive künstlerische Umsetzung und Verfremdung geschahen bei Christian Rohlfs eher in der Farbe denn in der Form. Das "Mädchen in roter Bluse" war wohl kaum ein dunkelhäutiges Mädchen, dunkel war der Ort und das Licht, an dem und in dem Rohlfs das Mädchen mit Südwester, vielleicht an einem Regentag gesehen hat.

Christian Rohlfs, 1848 geboren, war der älteste der modernen deutschen Künstler der ersten Hälfte des 20. Jhs. Er lebte persönlich wie künstlerisch zwei Leben nacheinander. Als anerkannter Maler und Professor des deutschen Impressionismus sah er 1902 ein Gemälde von van Gogh bei Karl Ernst Osthaus in Hagen, was ihm zu einem Saulus-Paulus-Erlebnis wurde. Sein persönlicher Expressionismus war geboren, den er bis zu seinem Tod 1938 konsequent realisierte.

Neben seinen Natur- und Stadtlandschaften (Soest) sowie Blumenstilleben interessierte ihn die menschliche Existenz in biblischen Szenen, in "Typen" wie z. B. "Gauner", "Spökenkieker",  Situationen wie z. B. "Gehetzter", "Der Schrecken" oder Berufen wie z. B. "Geigerin". Diese Themen waren - auch die biblischen - auf einen Augenblick, einen existenziellen reduziert, so auch hier in "Sängerin I". Diese steht links im Bild als Dreiviertelfigur in dunkelrotem Kleid mit weissem Kragen oder Halstuch, die Hände ausgestreckt vor ihrem Körper, als deklamiere sie. Sie scheint auch tatsächlich mit leicht nach rechts gewandtem Kopf zu singen. Drei männliche Figuren, eine links, zwei rechts von ihr hören ihr zu, ebenfalls eine Frau rechts unten vorgebeugt.

Ein Augenblick der Erregung: Der dunkle Rot-Blau-Klang mit einem etwas helleren Rot-Tupfen des Hutes der Zuhörererin rechts, das erstaunliche Braun der isokephalischen Kopfreihe oben, diese Dunkelheiten werden durch ein schreiendes Weiss in heftigen Pinselhieben um die Köpfe herum, im Halstuch und dem Hemd des mittleren Stehenden sowie der Bluse der gebeugten Zuhörerin rechts konterkariert. Offensichtlich werden höchste Töne und höchste Erregung gesungen.

Schier unerschöpflich die Thematiken der Menschendarstellungen von Christian Rohlfs und voller entlegener Merkwürdigkeiten, hier jedoch ganz einfach und nah in "Herr und Dame", oder doch wieder nicht? Die Frau steht in einem einfachen roten Sack-Kleid, der Mann in ebenso roter Veste mit weisser Hose und weissem langem Mantel schreitet vor ihr weit aus und schaut ihr ins Gesicht, unterhält sich mir ihr, trägt einen schwarzen Zylinder. Er bietet ihr seinen rechten Arm. Sie hakt sich ein. Links hinter ihr erscheinen einige seltsame Gestalten. Ist das links von Ihr ein Kind? Hinter dem Mann nach rechts ein unklarer Hintergrund. Das ganze Blatt dominiert die rote Wasserfarbe, mit braunen Abtönungen links, an einigen Stellen ein wenig Blau, die Tuschfeder schafft die Struktur dieser Szene eines Herrn und einer Dame, deren genauere Bedeutung unserer Phantasie überlassen ist.

Durch ärztlichen Rat, demzufolge ihm längere Aufenthalte im Süden empfohlen wurden, entdeckte Christian Rohlfs 1927 in Ascona sein „Giverny“. Bis zu seinem Tode verbrachte er Frühjahr und Sommer in der dortigen „Casa Margot“. Wie die Seerosen Claude Monets zugleich Auflösung und Verdichtung sowie herbstlicher heiterer Schein eines reifen Alters sind, der immer flüchtiger, immer leichter auftreten kann, ohne an Wirkung zu verlieren, so zerstäuben auch die Landschaften des Lago Maggiore und die südlichen Blumen von Christian Rohlfs zu letzter Leichtigkeit. Immer mehr an Farbe und Form wird genommen, jedes zuviel Hinzugefügte wieder weggewischt oder -gebürstet. Calla - die Schöne - sie spendete in «Callas auf rotem Grund» Christian Rohlfs auch 1936 noch gesundheitlichen und künstlerischen Trost, obwohl die Schleier immer dichter wurden.

Blumenstilleben und einzelne Blüten besonderer Blumen waren die grosse Liebe von Christian Rohlfs. Eine Besonderheit seiner Blumenstilleben liegt darin, dass Vase und Blumenstrauss sich nicht völlig von Umgebung und Hintergrund absetzen sondern sich Farben und Strukturen der Blumen dem ganzen Umraum mitteilen. So gerät die gesamte Maloberfläche zu einem einzigen Farben- und Formenrausch. So auch in «Iris in einer Vase».

Karl Schmidt-Rottluff schrieb 1945 nach Kriegsende an einen Freund: "Es verblieb nur ein unvorstellbares Chaos, das einigermassen zu beseitigen die letzten Kräfte kostete. Wir gehörten zwar zu den Überlebenden, aber viel ist sonst nicht übrig. Der grösste und beste Teil meiner Bilder ging noch in Schlesien verloren, so dass ich mir selber schon als Legende vorkomme." Der Sechzigjährige begann nochmals gemeinsam mit seiner Frau Emy, gestärkt durch ihren gemeinsamen Weg seit der "Brücke" in Dresden, und er  versuchte nochmals Neues: In seiner Kunst reagierte er mit einer weiteren Stilstufe in seinem Werk auf die veränderte Weltlage. Im Leben ging es um Wiederaufbau, an dem seine Frau und er mit der Gründung und Errichtung des Brücke-Museums in Berlin 1967 in ganz besonderer Weise beteiligt waren. Als er 1970 starb, hatte er ein umfangreiches Spätwerk geschaffen, das, ohne den expressionistischen Hintergrund zu verleugnen, auf die Forderungen der Gegenwart einging, wie dieses Stilleben beweist, eines der stärksten Werke seines Spätstiles.

Da ist zunächst einmal eines der wenigen Relikte, "Blauroter Kopf (Panischer Schrecken", eine in Fichtenholz geschnitzte Plastik von Schmidt-Rottluf aus dem Jahre 1917 (Wietek 31, heute "Brücke"-Museum Berlin). Im Keller seines Atelierhauses hat dieser afrikanischen Vorbildern nachempfundene Kopf die Bombardements überstanden und steht nun auf einem kleinen Tisch bei Schmidt-Rottluffs neben einem Dieffenbachia-Topf, einer leeren Vase und weiteren Gegenständen vor an der Wand lehnenden bemalten Leinwänden. Die Gegenstände in starker Abstraktion und von sich teils selbständig machenden Konturlinien eingefasst: So malten 1949 auch die jüngeren, wenn sie nicht spätestens 1948 bereits, wie die meisten, zu völliger Abstraktion übergegangen waren. Nur wenige Jahre später wurde dieser Stil für sämtliche Zwecke vulgarisiert und ist als sog. "Nierentischstil" einer Generation in weniger guter Erinnerung geblieben. Auch gute Kunst kann man eben missbrauchen. Hier in diesem Gemälde geschieht jedoch mehr als nur ein Aufgreifen gegenwärtiger Tendenzen durch Schmidt-Rottluff. Er bleibt sich zugleich völlig treu. Das zeigt nicht nur die Kraft der Formen, das zeigt vor allem die ungeheure Kraft der Farben, die sein Werk immer schon auszeichnete. Er kann sie hier nochmals steigern. Ein grandioses Stilleben.

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